Buaya, das Krokodil, war früher ein zahnloses Tier, das sich von Insekten und Schnecken ernährte. Anders als Keniling, das Pangolin, das mit grässlichen Fängen ausgestattet war, das auf Bäume kletterte und sich auf den Zweigen aalte, bis das nächste ahnungslose menschliche Wesen des Weges kam. Dann stürzte es sich mit einem furchterregenden Kreischen auf das glücklose Opfer, trieb seine Zähne tief in sein Fleisch und schlang die blutigen Fleischbrocken gierig in sich hinein.
Während sich die menschliche Bevölkerung von Tanah Tuju, dem siebenten Kontinent, erschreckend verringerte, freute sich Keniling über seine sportlichen Erfolge. Buaya, der sich an die natürlichen Gesetze hielt und nur dann etwas fraß, wenn es wirklich nötig war, meinte schließlich, er müsste etwas gegen das gierige Keniling unternehmen. „Ach, Keniling, mein lieber Freund“, sagte Buaya, „wie ich dich wegen deiner abwechslungsreichen Diät beneide, wo ich mich mit einer täglichen Ration von schleimigen Schnecken und schlammigen Käfern bescheiden muss.“
Keniling grinste und kicherte: „Igitt, klingt ja richtig romantisch! Geschieht dir aber recht, du zahnloser Depp, du!“ Buaya seufzte. „Na ja, so schlimm ist es nun auch wieder nicht. Käfer schmecken eigentlich gar nicht so schlecht, sie sind wahrscheinlich sogar besser als Fleisch.“ „Quatsch“, meinte Keniling hämisch, „nichts geht über den Geschmack von rohem, saftigem Fleisch, besonders dem Fleisch von Menschen.“
„Schade, ich werde das wohl nie zu schmecken kriegen“, seufzte Buaya mit einem Hauch von Resignation. „Wie auch immer, vielleicht gibst du aber auch nur an und Fleisch schmeckt überhaupt nicht so gut wie du behauptest. Außer…“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause, dachte tief nach und schüttelte den Kopf. „Außer was?“, fragte Keniling und wollte es unbedingt wissen. „Nein, vergiss es, mir ging da nur was durch den Kopf“, sagte Buaya und machte sich langsam davon. „Außer WAS?“, wollte das Pangolin wissen und sprang von seinem Baum herunter. Buaya lächelte und legte verschwörerisch seinen Arm um Keniling: „Ich wollte gerade vorschlagen, dass du mir deine Zähne einfach mal eine Weile ausleihst, dass ich den Geschmack von Fleisch selber erfahren und dich dann umso mehr beneiden kann.“
„Mach keine Witze“, prustete Keniling. „Und wer sagt mir, dass du dann nicht mit meinen Zähnen davonläufst?“ „Wie wär’s denn damit“, sagte Buaya und öffnete den Verschluss seiner ledrigen Haut. „Ich geb dir meine Rüstung, wenn du mich eine Woche lang deine Zähne haben lässt!“ Schon lange hatte sich das Pangolin ausgemalt, wie toll es wohl in solch einer coolen Krokodilshaut aussehen würde. „Moment mal! Schauen wir einfach mal, ob die überhaupt passt“, sagte Keniling, griff nach der dick geschneiderten Haut und zog sie sich an. Buaya bewunderte ihn mit Kennermiene. Dann nickte er zustimmend und sagte: „Mein Gott, ich muss schon zugeben, dass du in dieser Hornhaut wirklich wie ein richtiger Macho aussiehst!“
Keniling war mächtig stolz. Er nahm seine Zähne heraus und wollte sie gerade Buaya übergeben, als er sich an seinen Vater und an dessen Geschäftstüchtigkeit erinnerte. „Warte noch einen Moment“, lispelte das inzwischen zahnlose Pangolin, „du kanntht meine Thäne eine Woche lang haben, aber ich kann dafür deinen Anthug einen Monat lang tragen, ok?“ „Tho tholl eth thein!“, mimte Buaya und steckte Kenilings enorme Fänge in seinen Mund. Dann trennten sich die beiden.
Ein paar Tage später machte sich Keniling auf die Suche nach Buaya, weil er inzwischen hungrig geworden war und gerne wieder seine Zähne zurück gehabt hätte. Buaya sonnte sich am Fluss. „Tut mir leid, aber der Tausch gilt nicht mehr“, wimmerte das Pangolin, „ich verhungere thontht!“ „Ok, von mir aus, dann komm doch her und nimm deine blöden Zähne wieder zurück“, murmelte Buaya. Er wartete, bis Keniling nah genug herangekommen war, und packte ihn dann mit seinem riesigen Kiefer. Das Pangolin rollte sich blitzschnell zusammen und war nicht weiter verletzt, weil es ja die Krokodilshaut anhatte.
„Lath mich loth, lath mich loth!“, kreischte Keniling und zappelte hilflos unter Buayas Griff. „Thag ‚Bitte’, du thanlotheth Untier!“, spottete Buaya. „Bitte! Bitte!“, schrie Keniling, mit einer Stimme, die vom Schwanz in seinem Maul gedämpft war. „Lauter!“, zischte Buaya und langte fester zu. „Bitte! Bitte!“, bettelte das Pangolin. „Du kanntht deinen Anthug wieder thurückhaben!“
Buaya schüttelte Keniling mit einem eleganten Schwung seiner Schnauze. „Behalt ihn nur, ich hab’ einen ganzen Schrank voll davon. Und außerdem, ohne Zähne brauchst du auf jeden Fall eine dicke Haut, meinst du nicht? Deine Menschenfresserei ist jetzt vorbei, such dir lieber ein paar süße Ameisen!“
Von diesem Tag an das Pangolin ein Ameisenfresser. Es sprach nicht mehr, weil es sich wegen seines Lispelns schämte und egal, wie viele Millionen dieser winzigen Ameisen es auch verspeiste, es gelang ihm einfach nicht, ihre Zahl zu verringern.
Aus Malaysia