Kurzbiographie
Rudolf Steiner wurde im Jahre 1861 in Kraljevec (Kroatien) als Erstes von drei Kindern eines österreichischen Bahntelegraphisten in bescheidenen, bildungsfernen Verhältnissen geboren. Als „Vorzugsschüler“ besucht er später die lateinlose Ober-Realschule in Wiener Neustadt, besteht hier die Matura „mit Auszeichnung“ und studiert als Stipendiat der Eisenbahngesellschaft von 1879 bis 1883 an der Technischen Hochschule in Wien die Fächer Mathematik, Naturgeschichte und Chemie mit dem Ziel, Realschullehrer zu werden. Ohne Studienabschluss verdient er sich seinen Lebensunterhalt von 1884 bis 1890 als Hauslehrer und Erzieher in einer großbürgerlich-jüdischen Familie, wo er sich insbesondere um den körperlich behinderten Sohn kümmert.
uf Empfehlung des Wiener Germanisten Julius Schroer arbeitet der idealistisch philosophierende Autodidakt und philologische Laie Steiner von 1890 bis 1897 als freier Mitarbeiter am Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar. Hier ediert er die sechs Bände der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes für die „Sophien-Ausgabe“. Aus seiner Beschäftigung mit der objektiv-idealistischen Naturbetrachtung Goethes entspringt auch die Schrift, mit welcher Steiner 1891 extern von der Universität Rostock zum Doktor der Philosophie (Examensnote „rite“) promoviert wird. Im Jahre 1894 veröffentlicht er sein philosophisches Hauptwerk „Die Philosophie der Freiheit. Grundzüge einer modernen Weltanschauung. Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode“, ohne in der philosophischen Fachwelt Resonanz zu finden; die wenigen zeitgenössischen Beurteilungen sind vernichtend.
Als Steiner 1897 mit seiner ersten Ehefrau und deren Kindern von Weimar nach Berlin zieht, ist er arbeitslos. Bis in den Herbst des Jahres 1902, als er das gut dotierte Amt eines Generalsekretärs der Theosophischen Gesellschaft annimmt, kämpft er jahrelang um jede Reichsmark als Mitherausgeber und Redakteur des „Magazins für Literatur“, als Lehrbeauftragter für Geschichte an der marxistisch ausgerichteten Arbeiterbildungsschule (bis 1905) und Lehrkraft an einer Fortbildungsschule für Mädchen sowie als Vortragsredner. Er verkehrt im monistischen Giordano-Bruno-Bund und im Kreis der „Kommenden“, einem Treffpunkt der literarisch-künstlerischen Avantgarde, der Berliner Bohème und der lebensreformerischen, zwischen Darwinismus, Sozialismus und Anarchismus oszillierenden Kreise. Hier wird er im Herbst 1900 auch zu Vorträgen über Nietzsche, Haeckel, Goethe und über die deutschen Mystiker in die „Theosophischen Bibliothek“ eingeladen. In diesem an der fernöstlichen Weisheitslehre und Esoterik interessierten Kreis lernt Rudolf Steiner nicht nur seine neue Lebensgefährtin und spätere zweite Ehefrau Marie von Sivers kennen; er findet hier seine definitive Wirkungsstätte und zugleich die erste Anhängerschaft für seine von nun an Gestalt annehmende Anthroposophie. Als Generalsekretär der deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft entfaltet der „Doktor Steiner“ nun eine immense Vortrags- und Reisetätigkeit, wovon mehr als sechstausend stenografisch festgehaltene Vorträge und ca. dreißig Monografien Zeugnis geben. Ende 1912 trennt sich Steiner von der Theosophischen Bewegung – offiziell wegen tiefgründiger Differenzen in der esoterischen Deutung des Lebens Jesu Christi. Er gründet die Anthroposophische Gesellschaft, deren Tagungen durch die Aufführung von Mysteriendramen (seit 1907) und durch die neue, Sprache und Gesang sichtbar machende Bewegungskunst der Eurythmie (seit 1913) eine neue künstlerisch-kultische Dimension erhalten.
Die Pläne zum Bau einer eigenen Aufführungs- und Tagungsstätte führen ihn nach Dornach bei Basel, wo er von 1914 bis 1922 mit der organisch-spirituellen Architektur des „Goetheanums“ den feierlichen Rahmen schafft für die Manifestation der Anthroposophie als Gesamtkunstwerk von Wissenschaft, Kunst und Religion. Als charismatischer Gründer einer ganz allein auf ihn konzentrierten weltanschaulichen Gemeinschaft entfaltet Steiner nun im letzten Jahrzehnt seines Lebens durch eine stupende Vortragstätigkeit in ganz Europa das Programm für eine spirituelle Erneuerung des Lebens auf den Gebieten nicht nur der Kunst, sondern auch der Erziehung, der Politik und Wirtschaft, der Medizin, der Landwirtschaft und der christlichen Religion. Ende September 1924 muss Rudolf Steiner aus Erschöpfung erstmals in seinem Leben einen Vortrag absagen. Nach sechs Monaten im Krankenbett, ärztlich betreut von Ita Wegman, erliegt er am 30. März 1925 in Dornach – mitten in der Arbeit an seiner Autobiographie – vermutlich einem Magenkrebsleiden.
Quelle: Socialnet